Systematischer Aufbau einer Beziehung durch Technologie – Von Video-Interviews bis zu künstlicher Intelligenz
„Wir melden uns“, sagt der Bewerber zum Unternehmen. Was wie ein Witz klingt, ist im momentanen „War for Talents“ keine Ausnahme mehr. Firmen kämpfen massiv um IT- und andere Fachkräfte, um im Wettbewerb nicht unterzugehen.
Welche digitalen Hilfsmittel auf dem Weg zum Top-Mitarbeiter hilfreich sind, was eine „strahlende Marke“ bringt und welche neuen Ansätze es in der Ausbildung braucht, erklärten Expertinnen und Experten bei einer Veranstaltung der Plattform „Digital Business Trends“ (DBT) gestern, Donnerstagabend, in Wien.
„Das wichtigste Element ist der systematische Aufbau einer Beziehung – es geht um das Wohlfühlen. Und dazu kann Technologie beitragen“, sagte Gerhard Fehr, Verhaltensökonom und CEO von FehrAdvice & Partners. Ein Ansatz sei, Kandidaten eine Wahl- und Entscheidungsmöglichkeit zu bieten – etwa über die Dauer des Bewerbungsprozesses. Wer von vornherein digital selbst mitbestimmen kann, ist mit dem Ablauf zufriedener, ist Fehr überzeugt. Beziehungsstörend sei beispielsweise die weit verbreitete Registrierungspflicht für eine meist einmalige Sache.
„Wer Beziehungen fördern will, sollte dem entgegenwirkende Dinge am Anfang erledigen, zum Beispiel Gehaltsverhandlungen. Das erst am Ende anzusprechen, ist vollkommen abstrus, da passieren viele Verletzungen auf beiden Seiten“, so der Berater. Außerdem sollte man vermitteln, dass man selbst viele Fehler im Bewerbungsprozess mache, weil jeder mal falsche Entscheidungen treffe. „Wenn wir Kandidaten die Möglichkeit bieten, auf so einen Fehler hinzuweisen, finden sie vielleicht doch noch den Weg zu uns“, meint Fehr. Diese Vorgangsweise würde als fair wahrgenommen und negativen Effekten entgegenwirken.
Video-Interviews bieten Vorteile
„Für manche Jobs machen wir Video-Interviews. Der Kandidat bekommt ein E-Mail und nimmt ein Video zu vorgegebenen Fragen auf, das von rund 25 Menschen angeschaut wird. Die bewerten jede Antwort einzeln“, sagte Eva Zehetner, Bereichsleiterin Human Resources der A1 Telekom Austria Group. Die übliche Diskussion – „Wie hast du den Kandidaten gefunden?“ – sei dagegen nicht sehr analytisch oder objektiv. Außerdem könnten so gewisse Dynamiken ausgeschlossen werden, die das Ergebnis verfälschen – etwa wenn auf dem Weg zum Gespräch über ein Fußball-Match, das beide gesehen haben, gescherzt wird.
„Alle brauchen IT-Mitarbeiter. Soviel Informatiker, wie die Wirtschaft fordert, kann man aber gar nicht ausbilden. Wir müssen in die Richtung gehen, dass beispielsweise Maschinenbauer digitale Kompetenzen erwerben können“, sieht Christian Huemer, Studiendekan für Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität (TU) Wien, einen Ausweg. Nach wie vor ungelöst sei das Thema des Frauen-Anteils: „Wenn man die Hälfte der Gesellschaft wegstreicht, hat man etwas falsch gemacht.“ Der Mangel an Fachkräften könne nur durch Qualifizierungsmaßnahmen in digitale Kompetenzen „oder in anderen Worten durch Investition in Bildung“ gelöst werden.
„Strahlende Marke“ wirkt anziehend
„HR-Tech ist wichtig, aber zunächst muss der Sinn vermittelt werden, warum jemand bei uns arbeiten sollte. Vor allem Millennials hinterfragen die Werte eines Unternehmens. Da hilft eine strahlende Marke“, erklärte Wien Energie-Geschäftsführer Michael Strebl. E-Mobilität beziehungsweise der Umbau der Energiesysteme generell sei da für viele attraktiv. „Die wesentliche Frage ist, ein Unternehmensimage aufzubauen, das in der Realität standhält. Danach kann man über Prozesse und Technik reden.“ Außerdem würden Trainee-Programme, Frauenförderung und Weiterbildung forciert, das „spricht sich auch am Markt herum“, so Strebl.
„Wir stehen am Anfang einer spannenden HR-Tech-Reise, künstliche Intelligenz zieht langsam ins Recruiting ein. CV-Datenbanken verlieren an Bedeutung, Personen sind transparent und Systeme aggregieren sämtliche Daten, die sie zu einer Person im Netz finden“, so Mario Koplmüller, Bereichsleiter IT Recruiting bei epunkt. Derzeit würden sich viele Unternehmen zwar teure HR-Tech-Systeme anschaffen, diese aber nur rudimentär verwenden, weil das Team nicht in die Entscheidung eingebunden wurde, nicht gut geschult ist oder einfach keine IT-Affinität besteht. Zwar werde es leichter, Kandidaten aufzuspüren, aber immer schwieriger, sie zu gewinnen und an Bord zu holen. „Denn das wird immer in der Hand des Unternehmens und der Menschen bleiben“, ist Koplmüller überzeugt.
(Wien/OTS) Foto: Credit APA-Austria Presse Agentur/APA-FotoserviSchedl Fotograf/in: Ludwig Schedl